Die Zahlen der Gruppenentwicklung

Die Zahlen der Gruppenentwicklung

Einleitung

Die Größe von Organisationen wird oft als eine zentrale Variable in der Literatur gesehen. In diesem Artikel soll gezeigt werden, dass das Problem der Überlastung oder der Kontrolle schon in viel kleineren Einheiten auftreten. Darüber hinaus ist die Größe für die meisten in einer großen Organisation arbeitenden Menschen von geringerer Relevanz, denn sie erleben den größten Teil der Organisation eher als Umwelt denn als Akteur.

Dyade – 2 Personen

Der Übergang von eins zu zwei erzeugt die grundlegende soziale Einheit, die Dyade. In ihr gibt es Interdependenzen, Gegenseitigkeit des Verhaltens (Mittel) und die Notwendigkeit, sich an eine andere Person anzupassen.

Triade – 3 Personen

Der Übergang von zwei zu drei ist bedeutsam, weil hier die Möglichkeiten eines Bündnisses von zwei Mitgliedern gegen das dritte besteht und so Phänomene wie der Kontrolle, der Konkurrenz und des Einflusses bestehen. Die Phänomen entfalten sich hier mit größerer Macht, weil die Triade weniger verwundbar als eine Dyade ist, denn wenn eine Person sie verlässt, so verbleibt immer noch eine soziale Einheit, eine Dyade.

Dreiecksverhältnisse sind für viele Menschen sehr belastend, nicht nur im Privaten, daher sollte überlegt werden, ob man diese Stufe nicht überspringen will und mit 4 oder mehr Personen weitermachen sollte.

4 Personen

Der Übergang von drei zu vier schafft die Möglichkeiten von zwei gleichen Dyaden oder Bündnissen. Charakteristisch bei vier Gruppenmitgliedern ist, dass ein Bündnis zwischen zwei allein nicht ausreicht, um die Kontrolle zu gewinnen, denn das ausgeschlossenen Paar kann selbst wiederum ein Bündnis schaffen, was die Wahrscheinlichkeit einer Patt-Situation erhöht.

7 Personen

Der Übergang von vier zu sieben macht die Gruppe noch „politischer“, weil Individuen (1) und Bündnisse (1+1) im Interesse der Kontrolle verschiedene Koalitionen (1+2) bilden können.

A.) 7 = (2 + 2) + (3)

Zwei Dyaden können ihre Mittel kombinieren und so eine gewisse Kontrolle über die größere Triade gewinnen

B.) 7 = (2) + (2) + (3) oder (2) + (2 + 3)

Wenn es der Triade gelingt, die zwei Dyaden voreinander getrennt zu halten oder eine davon überzeugen kann, sich mit ihr zu verbinden, wird sie die Kontrolle behalten.

9 Personen

Vollständige Symmetrie betreffs all der oben beschriebenen Prozesse und Phänomene findet sich in der Neun-Personen-Gruppe. Sie kann drei Triaden bilden (3 + 3+ 3). Dies erlaubt Koalitionen innerhalb einer bestimmten Triaden, aber auch Koalitionen zwischen einem Paar von Triaden.

Wenn wir verstehen können, wie neun Leute es bewerkstelligen, sich zu organisieren, zu produzieren, sich aufzulösen und sich umzustrukturieren, dann sollten wir auch eine klare Vorstellung davon haben, was wir zu erwarten haben, wenn wir tausend Leute sich mit der gleichen Tätigkeit befassen sehen.
Karl E. Weik

Gerade versus ungerade

Bei eine geraden Gruppenzahl steigt die Wahrscheinlichkeit für eine Patt-Situation, bei einer ungeraden Gruppenzahl steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sogar nur ein einzelnes Gruppenmitglied zum Zünglein an der Waage wird.

Dies ist vor allem für hierarchielose und selbstorganisierte Gruppen von größter Relevanz. Bei hierarchischen Gruppen hat eine/r immer das letzte Wort.

12 (+ 1) Personen

Mit der Zahl 9 sind alle möglichen Phänomene einer Gruppenentwicklungen abschließend beschrieben.

Natürlich gibt es noch die Zahl 12, die mystisch, religiös, traditionell, … stark aufgeladen ist, aber oft auch als Kontrollspanne (12 +1) genannt wird. Eindeutig wissenschaftlich bewiesen ist sie aber nicht, denn die Probleme, die eine wachsende Größe mit sich bringt, liegen vor allem in der Kontrolle und den nicht-linear wachsenden Verbindungen, aber auch bei den alternativen Lösungen, die zur Verfügung stehen. Sie können schon bei 9, 10 oder 14, aber auch erst bei 20 und mehr Gruppenmitglieder, aber auch, wie oben gezeigt, teilweise schon bei 3, 4 oder 7 Gruppenmitgliedern auftreten.

Wenn man zb eine Drei-Personen-Gruppe mit einer Zwölf-Personen-Gruppe vergleicht, so mag man unter anderem folgendes feststellen:

  1. Die direkte Kommunikation mit allen Mitgliedern wird schwieriger,
  2. aber auch die dafür jeweils zur Verfügung stehende Zeit verringert sich.
  3. Das Bedürfnis nach einem (informellen) Führer wird größer und ebenso die Wahrscheinlichkeit, dass diese/r kontrolliert, was passiert.
  4. Die Wahrscheinlichkeit kleinere Untergruppen zu bilden, die verstärkt (informelle) Kontakte pflegen, steigt.
  5. Die Häufigkeit von Rollenkonflikten und Überlastung ebenso steigen kann
  6. und so weiter.

Aber diese Unterschiede können einzeln oder in Kombination schon in der Dreier-Gruppe auftreten und daher ist es nicht ausgemacht, dass eine Dreier-Gruppe effektiver als eine Zwölfer-Gruppe ist.

12 als Faustregel

Die wechselseitige Abhängigkeit bringt Kosten mit sich und diese Kosten werden durch eine ansteigende Zahl von Gruppenmitglieder immer deutlicher spürbar. Wann genau die Schmerzgrenze erreicht ist, ob schon unter 9, ab 10 oder erst bei 20 und mehr Gruppenmitglieder ist wie gesagt nicht klar und immer vom Kontext abhängig. Ob sich die Gruppe dann auflöst, teilt, Abteilungen bildet und/oder spätestens dann ein formelle Führung bzw Hierarchie (intern/extern) bestimmt wird, die durch ihr Machtwort, die Konflikte innerhalb der Gruppe beenden kann, wurde im Modell der Gruppenentwicklung schon besprochen.

Sicher ist aber, dass diese Grenze irgendwann erreicht wird und daher ist die Zahl 12 einfach eine gute Faustregel, um spätestens damit zu beginnen, sich mit der Grenze des Gruppenwachstums intensiver auseinander zu setzen, statt abzuwarten bis es kracht.

Christopher Temt

 

Quelle: Karl E. Weik, Der Prozeß des Organisierens, 1995, S. 336ff. Wobei mich diese Buch, einer der zehn wichtigsten Wirtschaftsbücher, so fasziniert hat, dass ich 2019 beschlossen habe, mich intensiv damit auseinander zu setzen. Der beste Weg für mich ist, über einzelnen Themen des Buches Artikel, wie diesen hier, zu schreiben und so zu lernen. Daher sind auch Stellen mehr oder minder wortwörtlich entnommen, ohne dass sie ausdrücklich als Zitat ausgewiesen werden.